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BZ-INTERVIEW mit Mark Warnecke über Olympia 2000, die WM 2001 und seine Wunschvorstellungen für das Leben nach dem Leistungsschwimmen

Schwimmen ist kein dankbarer Sport

FREIBURG. Der Mann liebt’s schnell: Mark Warnecke, ein Stilist im Wasser, ist einer der weltbesten Brustschwimmer. Der ehemalige Aktivensprecher des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) will 2001 zudem an einer Motorsport-Serie teilnehmen. Bis Sonntag geht der 30-Jährige bei der Deutschen Kurzbahn-Meisterschaft in Freiburg an den Start. Über Olympia 2000, die WM 2001, sein Verhältnis zu Funktionären und seine Wunschvorstellungen für das Leben nach dem Leistungsschwimmen sprach BZ-Redakteur Georg Gulde mit Warnecke.

BZ:Schwimmen, Medizinstudium, Motorsport. Wie oft haben Sie sich schon gesagt: Für mich muss der Tag mindestens 30 Stunden haben?

Warnecke: Das denke ich täglich. Doch 30 Stunden pro Tag wären noch zu wenig. Ich brauche mindestens 32 Stunden – 24 zum Arbeiten und acht zum Schlafen.

BZ: Sie sind am Freitag bei der Deutschen Kurzbahn-Meisterschaft in Freiburg über 100 Meter Brust im Vorlauf ausgeschieden – zum ersten Mal bei nationalen Titelkämpfen. Also stimmt es, dass Sie zurzeit mehr Motorsportler sind als Schwimmer?

Warnecke: Weder noch. Derzeit bin ich eher Medizinstudent. Im Schwimmen als auch im Motorsport ist derzeit keine Saison. 

BZ: Warum starten Sie dennoch in Freiburg?

Warnecke: Ich hatte einfach Lust aufs Schwimmen, obwohl ich zurzeit nicht trainiere. Ich dachte mir, gehe einfach an den Start. Damit hatte ich schon gute Erfahrungen gesammelt. Einmal bin ich im Anschluss an eine Woche Spaßurlaub und damit verbundener „mentaler Entkopplung“ Weltjahresbestleistung geschwommen.

BZ: Im Februar 1994 hatten Sie einen Unfall mit einem Motorroller, durch den die Fortsetzung der Schwimmkarriere gefährdet war. Warum wollen Sie trotzdem nächstes Jahr in eine Motorsport-Serie einsteigen?

Warnecke: Das war kein echter Unfall. Da bin ich einfach nur gestanden mit dem Motorroller und dann umgekippt. Wenn man schneller fährt, kann das nicht mehr passieren. 

BZ: Rüdiger Tretow, Präsident des Deutschen Schwimmverbandes, ist vor zwei Wochen zurückgetreten, Trainerwechsel sind angedacht. Ist das nur nach-olympischer Aktionismus nach dem Motto: Wenn Köpfe rollen, kommt das gut an, ganz gleich, ob damit substanzielle Änderungen verbunden sind oder nicht?

Warnecke: Tretow war der harmloseste von allen DSV-Funktionären. Er hat zumindest versucht, die Sache zu verbessern. In Deutschland haben wir – unter anderem im Schwimmen – ungünstige Strukturen. 

BZ: Was heißt das konkret?

Warnecke:Das will ich in der Öffentlichkeit nicht sagen. Ich bin kein Aktivensprecher mehr, wenn ich mich also konkret äußere, heißt es wieder: „Der Warnecke mäkelt an allem herum.“ Ich will konstruktiv Kritik anbringen. Wenn der DSV es will, bin ich bereit, in Gremien mitzuarbeiten.

BZ:Welchen Anteil haben Funktionäre am Misserfolg in Sydney?

Warnecke: Das kann und will ich nicht beziffern. Tatsache ist, die Schwimmer sind schlecht gewesen. Auf der anderen Seite gibt es Dinge, die ich nicht akzeptieren möchte. 1996, als ich bei Olympia Bronze gewann, ist beim DSV das Wort Medaillensoll geprägt worden. Für mich war es das Unwort des Jahres, weil es meines Erachtens grob unsportlich ist.

BZ: Wie hart traf Sie die Olympia-Kritik in den deutschen Medien?

Warnecke: Was die Boulevard-Medien mit einigen Athleten gemacht haben, das war eine Frechheit, schmierigster Abklatsch eben. Kritik war angebracht, unsere Leistungen als Team waren alles andere als berauschend. Doch es kann nicht angehen, dass zum Beispiel Franziska van Almsick als „Franzi van Speck“ oder als „Molch“ bezeichnet wird. Mich persönlich traf die Kritik hingegen nicht, schließlich bin ich kein Traumtänzer. Ich habe mein Bestes gegeben, wie alle anderen Athleten. Ich habe mir nichts vorzuwerfen, zumal mein 21. Platz mit einem Unfall zu tun hatte.

BZ: Ein Unfall im Schwimmbecken?

Warnecke: Ja. Kurz vor der Wende im 100-Meter-Wettbewerb habe ich einen Schleimpfropfen in die Lunge bekommen. Das klingt lustig, ist es aber nicht. Ich leide an einer Lungenkrankheit, und das Vorkommnis von Sydney macht mir jetzt noch zu schaffen. Vor Olympia stand ich vor der Wahl, mich mit Antibiotika behandeln zu lassen oder nicht. Ich habe mich gegen die Antibiotika entschieden. Im Nachhinein würde ich es nun wohl anders machen. 

BZ: Würden Sie sagen, Sie haben die Deutschen als ein Volk von Scheinheiligen kennen gelernt? Zum einen schreien sie nach sauberem Sport, zum anderen verzeihen sie aber nicht, wenn dann weniger Medaillen gewonnen werden.

Warnecke: Wir haben eines der besten Doping-Kontrollsysteme. Das ist gut so. Deshalb muss man bei Medaillen und Endkampf-Platzierungen Abstriche machen. 

BZ: In der Aussage steckt der Vorwurf, andere Schwimmer seien schneller, weil weniger kontrolliert wird.

Warnecke: In Sydney ist mir beim Anblick mancher Resultate von bestimmten Personen schlecht geworden. Vielleicht waren wir Deutsche zu zurückhaltend, hätten vor Olympia mehr Mut zeigen müssen, die Anti-Doping-Bemühungen zu forcieren – und zwar weltweit.

BZ: Warum machen Sie als 30-Jähriger nach einem Olympiajahr noch weiter?

Warnecke: Weil im nächsten Jahr die 50 Meter Brust im Wettkampfprogramm obligatorisch sind. Bei der Langbahn-Weltmeisterschaft in Japan wird erstmals ein Titel über 50 Meter Brust vergeben. 

BZ: Konzentrieren Sie sich darauf, weil Sie für 50 Meter Brust gegenüber der 100-Meter-Distanz nur halb so viel trainieren müssen?

Warnecke: Da ist was dran. Mental und in Metern gemessen muss man wohl nur ein Drittel von dem trainieren, was nötig ist, um über 100 Meter Weltspitze zu sein. Zeitlich dürfte ich eine Ersparnis von 50 Prozent haben. Vor Olympia habe ich jeden Tag vier bis sechs Stunden trainiert.

BZ: Nennen Sie dennoch einige Gründe, warum junge Menschen Leistungsschwimmen machen und sich in Gegenstromanlagen durchs Wasser quälen sollen.

Warnecke: Ich verbinde viele positive Gedanken mit dem Schwimmen. Das wichtigste ist, es muss Spaß machen. Zwingen würde ich keinen, denn Schwimmen ist kein dankbarer Sport. 

BZ: 1997 sollen Sie gesagt haben: In dieser Saison konzentriere ich mich auf den Weltcup auf der 25-Meter-Bahn, weil es der finanziell lukrativste Wettbewerb ist. Denken Sie immer noch gleich?

Warnecke: Eine solche Aussage habe ich nie gemacht. Der Kurzbahn-Weltcup ist nämlich alles andere als lukrativ. Da fliegt man durch drei Kontinente, kämpft mit der Zeitdifferenz, kann nicht geregelt trainieren – und am Ende hat man höchstens 4000 Dollar in der Tasche. Das ist nicht mehr als eine Aufwandsentschädigung.

BZ: Wie sieht Ihre Wunschvorstellung für ein Leben nach dem Leistungsschwimmen aus? 

Warnecke: Chefarzt in einer Privatklinik werden oder im Lotto gewinnen, zwei Pferde haben, an denen man sich erfreut, wenn sie über die Koppel galoppieren, ein vollverglastes Haus und eine Riesengarage besitzen, in denen ich meine Autos abstellen kann – das sind die Wunschvorstellungen. Zu meiner Freundin habe ich gesagt: „Das Haus, das gehört Dir, aber die Garage, die brauche ich und die gebe ich nicht her.“ 

BZ: Es hat den Eindruck, das Sportlerleben hat die Sehnsucht nach Ruhe geweckt.

Warnecke: Selbst wenn ich später als Unfallchirurg 56 Stunden ohne Pause arbeiten sollte, würde ich das als erholsam bezeichnen im Vergleich zum jetzigen Leben. Denn das Leben als Chirurg ist ein geregeltes. Die Hektik, die jetzt mein Leben bestimmt, ist durch den Sport entstanden. Sportlich habe ich im Schwimmen alle Ziele realisiert, die ich mir gesteckt habe – einen Olympiasieg ausgenommen. Ich bin zufrieden und habe kein Macho-Problem. 

BZ: Was ist denn das?

Warnecke: Ich kenne Schwimmer, die stellen sich nicht mit Namen vor, die sagen vielmehr: „Ich bin der Weltmeister“. Das habe ich nicht nötig.

BZ: Sind Ihnen Titel nicht wichtig?

Warnecke: Es gibt Stationen, die ich nicht vergessen werde. Mein WM-Titel 1995, mein Weltrekord und die Tatsache, dass ich ihn viermal eingestellt habe. Wenn ich einen Titel ein zweites Mal gewinne, interessiert mich das aber bei weitem nicht so sehr wie beim ersten Mal.

aus der Badischen-Zeiutung vom 2. Dezember 2000

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